220 km durch die Wüste rennen.                
von Praphulla Nocker 01.04.1990

 

190 durchtrainierte Athleten haben die Herausforderung angenommen 220 km durch die Wüste Südmaroccos zu rennen. Alles was man für die 7 Tage braucht, muss man selber in einem Rucksack mit sich schleppen: Nahrung, Schlafsack, Kleidung und Notfallmaterial. Von der Organisation wurde lediglich 9 Liter Wasser pro Person und Tag verteilt.
Nach unterschiedlich langen Tagesetappen kamen 172, zum Teil schwer verletzt, abgemagert und erschöpft, in Zagora an, darunter die erste und einzige deutsche Frau: Praphulla Nocker.

Sie ist als zweite deutsche Kanalschwimmerin bekannt und hat als Teilnehmerin an dem 700 Meilen-Rennen in New York viel Erfahrung als Langstrecken-Läuferin gesammelt. Sie ging in einem 12er Team des Sri Chinmoy Marathon Clubs mit. Laut ihrem Bericht war der Marathon de Sable ein Abenteurer-Erlebnis ohne gleichen:

Vom Flugzeug aus konnte ich mich mit dem Gelände der Sahara vertraut machen.  Es sah alles recht kahl aus, hohe Gebirge ragten aus den Ebenen hervor, ob wir da hinaufsteigen müssten? Nach der Landung in Oazazate wurden wir mit Bussen nach Foam Zguid transportiert.  Während der Fahrt "freundete" ich mich mit der Sahara an.  Es war alles viel schöner als vom Flugzeug aus. Die Wüste blühte in einer Farbenpracht, die man sich gar nicht vorstellen kann.

In Foam Zguid waren wir in Bivaks untergebracht.  Einfache, offene Zelte wie sie die Einheimischen benützen.  Nur ein Teppich diente als harte Unterlage.
Erste Bekanntschaften und Erfahrungen wurden ausgetauscht. Um 19.00 Uhr wurde es dunkel und man musste sich wohl oder übel schon für die nacht vorbereiten.  Der sternenübersähte Himmel faszinierte mich.  Ich fühlte mich wohl und geborgen.  Die Tagestemperatur von ca. 45 Grad ging auf 12 Grad runter. Es wurde angenehm kühl.

Am nächsten Tag wurde unser obligatorisches Material (Kompass, Rettungsdecke, Giftpumpe, Notfallraketen, Salztabletten, Entzündungssalbe, Messer und Leuchtstäbe) kontrolliert und der Rucksack gewogen.  Das Gewicht varierte von 5kg bis zu 18kg. Jeder überlegte sich was er noch rausschmeißen konnte.  Mein Rucksack war 7,5 kg schwer, ich hatte mich auf 3 kg Nahrungsmittel limitiert.  Für jeden Tag hatte ich ca.  2200 kcal zur Verfügung, extrem wenig für die Leistungen die wir erbringen würden. Zu meinem Menü gehörte ein kerniges Müsli, Dilsana-Astronautennahrung, ein paar Energieriegel und fertige Trockenmenues.

Am 18.3. standen wir mit Herzkloppen am Start, auf das Schlimmste gefasst. Viele Reporter, Fotografen und Kameramänner um uns herum. Die letzten Anweisungen wurden erteilt und der Startschuss ertönte.

Zum Einlaufen ging die Strecke 28 km einer steinigen Piste entlang. Die Füße wurden ganz schön belastet. Hei, das würde Blasen geben!
Ohne weiter Probleme kam ich als 4.(von 20) Frau im Lager an. Meine Teamkollegen hatten schon ein Zelt für uns reserviert. Fußkontrolle, keine Blasen, zum Glück! Den anderen ging es nicht so gut...

Am 2. Tag mussten wir 33 km rennen.  Es ging durch Geröll und ein einem ewig langen getrockneten Salzsee.  Die Hitze wurde unerträglich, die Luft flimmerte und der Rucksack stauchte mir das Kreuz zusammen.  Nur langsam kam ich dem unerreichbaren Ziel entgegen.  Viele gingen nur noch.  Nach 4:40 Stunden erreichte ich erschöpft das Ziel.

Am Abend lernte man sich am Lagerfeuer kennen, Freundschaften werden geknüpft, die Atmosphäre war locker und heiter.

Eine 25 km lange Etappe durch die Dünen erwartete uns am 3. Tag. Auf und ab ging es durch die Sandhügel.  Immer mehr Sand drang in den Schuh hinein.  Oft musste ich anhalten und ihn wieder auskippen.  Andere die sich die Zeit sparen wollten bekamen schmerzhafte Zehenentzündungen.

Manchmal rannte ich ganz alleine in diesem Meer von Sand und fragte mich ob ich mich verlaufen hätte, denn die Markierungsfahnen waren nur schlecht sichtbar. Auf einmal kamen mir die Eliteläufer entgegen. Als sie mein verduztes Gesicht sahen erklärten sie mir, dass sie den l. Kontrollpunkt verpasst hätten. Jede Strecke hat mehrere Kontrollstationen, an denen man vorbei muss, um seine Flasche Wasser zu erhalten. Verpasst man eine Kontrolle wird eine Stunde Strafe zur Gesamtzeit addiert. An dem Tag sah ich noch einige die sich verlaufen hatten und den Kontrollpunkt suchten.

Ich bangte eher um mein Wasser. Würde es noch ausreichen bis zum Ziel. Ich sah mich schon bewusstlos in den Dünen liegen. Ganz sparsam trank ich das kostbare Elixier. Es wurde mir bewusst wie wertvoll das Wasser zum Leben ist.

Nach einer sehr hohen Düne konnte ich endlich unser Zeltlager sehen. Eine Augenweide; mitten in einem grünen Meer standen unsere schwarzen Bivaks, das heiß ersehnte Heim. Voller Freude rannte ich dem Ziel entgegen. Eine der schwierigsten Etappen war überstanden.

Der Killer kam am nächsten Tag:  70 km.  Wir rannten durch eine wahre Mondlandschaft, weitere Dünen und ewig lange Sandpisten, in denen man kaum voran kam. Ich hatte mir vorgenommen noch bei Tageslicht ins Ziel zu kommen, das bedeutete, dass ich mir kaum Pausen leisten dürfte oder zu gehen. Ich war in Top-Form, der Rucksack hatte schon merklich an Gewacht verloren und ich hatte gelernt nur soviel Wasser mitzunehmen wie ich wirklich brauchen würde. Durch die Mittagshitze wurde ich gezwungen eine Stunde lang zu gehen. Nach einer Erholungspause am 44 km Posten, ging die Reise weiter. Plötzlich spürte ich wie es mir Nass an den Beinen runterlief. Meine größte Befürchtung war eingetroffen: die Plastikflasche war leck. Wie sollte ich die 14 km bis zum nächsten Posten schaffen?

Aus den Büschen sprang ein kleiner Junge und tröstete mich: "Weinen Sie nicht, Madam.  Ich wohne ganz in der Nähe, Sie können Wasser von uns haben." Ungläubig schaute ich den Kleinen an. War das wahr?  Mein Gott, Du erhörst meine Gebete aber schnell!  Er nahm mich an der Hand und führte mich zu seinem Zelt.

Es waren Nomaden, die eine Herde Kamele betreuten. So ein Glück. Die ganze Familie drängt sich um mich.  Neugierig wollen sie sehen wie schwer mein Rucksack ist.  Der Kleine erklärt ihnen mein Problem und sofort werde ich mit Wasser versorgt.  Noch etwas benommen von diesem Wunder renne ich weiter.

Allmählich verließen mich meine Kräfte.  Ich hing mich an eine Läufer an.  Er hatte den selben Laufrythmus.  Von dann an sah ich nur noch seine Beine.  Entspannt trottelte ich hinter ihm her.  Letzter Kontrollpunkt, noch 12 km bis zum Ziel.  Das sollten wir in l 1/2 Stunden schaffen.  Die Zeit zog sich aber hin und das Lager kam und kam nicht.  Mittlerweile war es dunkel geworden und wir mussten gehen, da man nichts mehr sah.  Ich erkannte auch keine Markierungen.  Plötzlich fasste mich ein Einheimischer an der Hand und führte mich ein Stück.  "Sie sind da, Madam, es ist nicht mehr weit".  Überglücklich torkelte ich dem Licht des Ziels entgegen.  Als 60.  in einer Zeit von 10:29 i erreichte ich den Lagerplatz.

Hassan Sabatoui, der Gesamtsieger des MARATHON DE SABLE, brauchte für die Distanz nur 6:12. Eine außerordentliche Leistung. Der letzte kam um 15.00 am nächsten Tag erst ins Ziel Das ganze Lager begrüßte ihn mit Gejubel und Blumensträußen. Sabatoui überreichte ihm persönlich seine Wasserration. So hatte er sich seinen Empfang sicher nicht vorgestellt.

Nach dieser Strapaze hatten wir einen Tag Pause. Das Lager lag einem Fluss und jeder nahm erst mal ein Bad und wusch seine Klamotten. Eine wahre Wohltat! Seit Tagen hatte ich mich nicht gewaschen, denn das Wasser war mir dazu viel zu kostbar.

Ein paar Blasen hatte ich mir zugezogen, aber sie waren nichts gegen die der anderen. Den ganzen Tag war das Ärzteteam beschäftigt die Scheuerwunden und entzündeten und eitrigen Blasen der Läufer zu verbinden. Der Anblick war schauderhaft.

Sichtlich auffallend war die Gewichtsabnahme der Teilnehmer. Manche Männer sahen richtig zerbrechlich aus.  Hunger hatten wohl alle, aber man gewöhnt sich daran.  Meine Teamkollegen versorgten mich mit Nahrungsmitteln, der große Vorteil eines Teams!  Man wird dankbar für jede NUSS, jede Rosine.  Das Essen erhält einen Wert, den man sich nicht vorstellen kann (außer man hat selber mal gehungert).

Etwas erholt gingen wir am 6,  Tag an den Start.  Auf dem Programm stand:  Marathon.  Die Strecke führte uns an einem steinigen Flussbett entlang, saftig-grüne Getreidefelder und Ortschaften die einen an Jerusalem erinnerte.  Die Menschen saßen auf der Strasse und schauten uns bewundernd zu.  Mit unseren Spiegelbrillen, kurzen Hosen und Rucksäcken waren wir sicher wie Marsmenschen für sie.  Der letzte Teil der Etappe ging wieder in einem halbvertrockneten Flussbett entlang, in dem man zum Teil im Schlamm versank.  Es war eine sehr schöne, interessante Etappe.  Unerwartet traf ich als 5. Frau mit 5:14 h im Lager ein (ich hatte meinen Verstand auf 6 Stunden programmiert). Nach dem Lauf war ich den ganzen Tag müde. Ich hatte zu wenig getrunken und war leicht dehydriert. Langsam aber allmählich trudelten die restlichen Läufer ein. Am Abend hessen wir zur Feier unsere Notfallraketen los.  Ein einziges Feuerwerk mitten in der Wüste!
Die letzte Etappe führt 13 km an einer Felswand entlang. Voller Sorge dachte ich an die vielen Verletzten, die sich hier hindurch quälen müssten. Ich war auch völlig am Ende. Ich hatte kein Zucker mehr im Blut und musste mit Depressionen kämpfen. "Nur nicht nachgeben und bei den anderen Läufern bleiben. Es sind ja nur noch 13 km." Langsam kroch ich dem Ziel entgegen.

Als das Lager in Sichtweite kam, spürte ich wieder Kraft in mir aufsteigen.
Überglücklich, den, als in der Läufer-Szene als härtesten Lauf, ohne großse Verletzungen überstanden zu haben, lief ich auf den Händen (!) durch das Schlussziel in einer Gesamtzeit von 30 Stunden und 12 Minuten, auf 74. Platz, 7. Frau.

Das erste was mich viele fragen ist: "Woher nimmst Du die Kraft solche Leistungen als Frau zu vollbringen?" Eine ganz einfache Antwort: Durch Meditation. Meditation ernsthaft praktiziert gibt uns die Möglichkeit wieder mit unserem wahren inneren Wesen in Verbindung zu treten, der Seele. Sie ist wie eine Quelle, aus der Kraft, Freude, Friede, Licht und Liebe fließt. Für mich sind solche sportliche Leistungen immer wieder eine Gelegenheit diese Eigenschaften anzuwenden und zu manifestieren.

Statistik:
   Sieger Herren:
              1. Hassan Sabatoui     18:29
              2. Phillippe Carrier   18:51
              3. Bernard Gaudon      19:09

              Frauen:
              1. Claire Garnier      25:04
              2. Angelica Castaneda  26:58
              3. Barbara Alvarez     27:12

   Letzter: Pierre Millier 68:10

   190 am Start / 172 am Ziel

   Durchschnittsgeschwindigkeit des    ersten: 12 km/h    des letzten: 4 km/h
   Nationalitäten:  vor allem Franzosen, 10 Amerikaner, 2 Maroccaner 4 Deutsche,
   5 Schweizer, l Engländer, 2 Kanadierinnen, Italiener.

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